Sonntag, 18. Dezember 2016

Google+ kurz vor dem Aus?

Von Google Plus (Google+, G+) hatte ich mehr erwartet.

Eben las ich, dass sich die Redaktion von Deutschlandradio Kultur von ihren Google+-Fans verabschiedet. Nach reiflicher Überlegung würden sie ihre Aktivitäten dort bis auf Weiteres einstellen, weil die Resonanz im Vergleich zu anderen sozialen Netzwerken zu gering sei. Sie beschränken sich in Zukunft auf Facebook, Twitter, Instagram, iTunes und Spotify. Auch andere Medien wie die taz und die Süddeutsche haben sich von Google+ mehr oder weniger heimlich verabschiedet. Sie hinterlassen traurige Fans - für viele eingefleischte Google+-Nutzer ist Facebook nämlich keine Alternative.

Google+ hat sich nicht so weiterentwickelt, wie ich zu Anfang erwartet hatte (siehe Google Plus - soziale Netze im Umbruch). Die Nutzerzahlen stiegen zuerst rasant, genauso wie die innovativen Features, die Google+ hatte und die viele begeisterten. Es war eine Freude, Google+ zusammen mit anderen neugierigen Internetnutzern zu erobern. Doch dieses Entdeckerfieber ist inzwischen verflogen - wie auf der Google+-Seite auch der Gründergeist: Seit einiger Zeit wirkt Google+ zunehmend führungslos und träge wie ein alter Tanker.

Das neue Google+-UI vermeide ich, solange man noch das alte UI nutzen kann
Die Zahl der registrierten Google+Nutzer ist zwar sehr hoch (über 2,2 Milliarden), aber nicht so die Zahl der aktiven Nutzer (nur 9 Prozent der registrierten Nutzer haben auch etwas öffentlich gepostet - und selbst diese teilweise nur ihre Profilbilder oder Kommentare bei YouTube, behauptete Kevin Anderson 2015). Die letzten Neuerungen betrafen hauptsächlich, aber nicht nur die Nutzeroberfläche (User Interface, UI) und sie waren meiner persönlichen Meinung nach das Gegenteil von nutzerfreundlich: bunte Platzverschwendung und zunehmende Unübersichtlichkeit. Es wirkte auf mich, als wolle man die ursprünglich klare Funktionalität, die sich auch im Google+-UI-Design spiegelte, nun zur Villa Kunterbunt machen. Ich vermute, man erkannte bei Google, dass die Mehrheit der Social-Media-Nutzer dort bleiben würden, wo ihre oft weniger technikaffinen Freunde und Verwandte schon waren - bei Facebook. Also wollten die neuen Google+-Macher Google+ Facebook-ähnlicher und "familienfreundlicher" gestalten. Das hatte aber keinen Erfolg, denn weder kamen die, die schon bei Facebook gut vernetzt waren, noch gefiel es meinem Eindruck nach den vorhandenen Google+-Nutzern, die zu einem großen Teil klarere Strukturen bevorzugen, ernsthaft diskutieren wollen und/oder beruflich in diesem Netz unterwegs waren.

Im Nachhinein scheint es mir, dass der Abstieg damit begann, dass Vic Gundotra, der für die Einführung von Google+ verantwortlich war, 2014 Google+ verließ. Möglicherweise haben er und/oder andere in der Google-/Alphabet-Führung aber bereits vorher erkannt, dass sie die Position von Facebook nicht mehr erreichen würden, und haben einvernehmlich das Handtuch geworfen.

Ich deute das so: Mit weniger als Marktführerschaft im jeweiligen Markt gibt sich das Unternehmen nicht zufrieden. Für Google+ scheint man solche Visionen nicht mehr zu haben. Also lässt man den Tanker noch eine Weile treiben, bis er (hinterm Horizont) versenkt wird.

Was meinen Sie/meint ihr? Seh ich das falsch? Bin ich zu pessimistisch?

2 Kommentare :

  1. Das "Geisterhaus" Google+ ist ja schon fast ein geflügeltes Wort. Die 2.2 Milliarden User sind natürlich nur Leute, die wegen ihres Android-Handys einen Google-Account haben, aber sicher nicht wegen Google+. Die meisten haben von Google+ wahrscheinlich noch nie was gehört.

    Und ja: Google selber hat den Brei verdorben. Statt den Dienst vorsichtig einzuführen und nach und nach besser mit anderen Google-Services zu integrieren, hätte man um ein Haar das ganze Datenimperium aufs Spiel gesetzt mit der fixen Idee, so ziemlich alle anderen Google-Services als Satelliten und Zulieferer rund um Google+ platzieren zu wollen. Als das gründlich in die Hose zu drohen ging, ruderte man zurück und isolierte das Network wieder.

    Und ja: es fehlt ein klares Profil. Wenn ich mir überlegen soll, wie ich Google+ heute sehe, würde ich sagen, es ist eine halbwegs brauchbare, aber als solche noch ausbaubare Interessensplattform. So gibt es Communities mit großen Mitgliederzahlen, vor allem im Fotografie- und Technikbereich, aber auch die Sammlungen, die es Usern ermöglichen, ihre Interessen und Hobbies statt "sich selber" mit dem Publikum zu teilen, scheinen durchaus erfolgreich zu sein. Was Google+ nicht ist: ein persönliches Netzwerk (wie Facebook), ein Business-Netzwerk (wie LinkedIn oder Xing), eine Häppchen-Hinschmeißplattform für Stars und Sternchen (wie Twitter).
    Eigentlich gut so. Aber es fehlt google-seitig anscheinend noch die Einsicht, Google+ stärker in Richtung einer solchen generischen Special-Interest-Plattform umzubauen. Man will halt offen bleiben und sich nicht als Konkurrenz von Facebook verabschieden.

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  2. Danke für deinen ausführlichen Kommentar, Stefan. Ich finde, du hast die Ursache gut auf den Punkt gebracht: Es fehlt das klare Profil (und irgendwie die Nachhaltigeit beim Konzept).
    Mit den Communities habe ich auch sehr gute Erfahrungen - die (fotografierenden) Hobbygärtner und (Hobby-)Köche, aber auch Diskussionsgruppen zum Journalismus und zum Thema Weiterbildung sind da auch recht aktiv.
    Mit den Sammlungen komme ich persönlich dagegen nicht zurecht: Als Publisherin möchte ich, dass meine Beiträge alle öffentlich sind, damit auch Fremde sie überhaupt sehen und mich kennenlernen können. Wenn ich alles in Themen-Sammlungen poste, um Leute zu verschonen, die sich nur für ein bestimmtes Thema interessieren, dann ist der Beitrag nicht mehr öffentlich, wie kann mich da jemand kennenlernen - da hätte ich eine Kombination Thema/Kreis besser gefunden. Vielleicht durchblicke ich die Sammlungen aber auch nicht richtig. Sie stören mich im Prinzip nicht als Funktion - man kann sie ja ignorieren, aber es stört mich, dass sie so prominent unter dem Logo platziert sind und man sie wegscrollen muss.
    Was mich persönlich aber ziemlich nervt, ist, dass die Verwaltung der Kontaktkreise nun so versteckt wurde. denn die fand ich eines der besten Features.
    Ich werde aber auch weiter dort bleiben, eben weil Kommunikation mit Menschen zu tun hat ... Gegenüber Google+ und eventuellen neuen, positiven Überraschungen bin ich natürlich auch offen.

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