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Samstag, 17. Dezember 2016

Arche 357 - als die Roboter die Menschheit retteten

Science-Fiction-Kurzgeschichte

Als Eila am 23. Juli 2112 die Augen öffnete, wusste sie nicht, dass dies ihr letzter Tag auf der Erde sein würde.


Sie schnippte das Hologramm fort, das sie mit Morgensonne, Vogelgezwitscher und Libellen am Seerosenteich geweckt hatte, und machte sich für die Arbeit fertig.

Es war ein Morgen wie jeder andere, nur dass der Versorgungsautomat statt Kaffee ein Röcheln von sich gab. Aber sie hielt sich nicht damit auf, schließlich warteten im Labor wichtige Aufgaben auf sie.

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Wenig später verließ Eila das Gebäude, in dem ihre Schlafkabine für Privilegierte lag. Sie wusste, wenn sie den Raum verließ, verschwanden die Hologramme und Projektionen und alles wurde grau - ganz anders als in den Häusern und Gärten der Gründerfamilien, wo die Springbrunnen echt waren und Pflanzen, Bienen und Vögel lebten.

Als Eila im Labor eintraf, war ihr Arbeitsroboter schon da, er hatte wie immer die Nacht durchgearbeitet. MobAIe357 war ein Roboter der neuen Generation – durch ein künstliches Emotionssystem war er lernfähig und konnte – von ihr überwacht - selbstständig Lösungen im Rahmen ihrer Arbeitsaufgaben erarbeiten.

"Wie weit bist du gekommen?" Sie sah in die beiden vorstehenden Kameraaugen an seinem Metallkopf. Sie hatte bei der Bestellung ihres Assistenten darauf bestanden, dass er nicht zu menschenähnlich aussah oder sprach und sie redete ihn nur mit "357" an. Es sollte ihr nicht noch einmal so gehen wie mit ihrem Nannyroboter: Sie war sieben Jahre alt gewesen und hatte bitterlich geweint, als "Mama Elisa" zur Ausschlachtung in die Wertstoffgewinnung musste.


"Ich habe alles erledigt. Bauteile und Laborausrüstung sind bereits an Bord, die Behälter mit dem Erbmaterial für das Basis-Habitat sind überprüft und werden gerade verladen", sagte er in der monotonen Maschinensprechweise, die sie für ihn ausgesucht hatte.

"Dann kann es ja losgehen." Beinahe hätte sie ihn gefragt, ob er schon aufgeregt sei, weil er als Teil der ersten mit Robotern bemannten Mission heute zu einem Planeten im benachbarten Sonnensystem aufbrechen würde, um ihn für eine Besiedelung durch Menschen vorzubereiten. Statt dessen öffnete sie eine Projektion der Ladelisten, um die Einträge noch einmal zu sichten.

"Eila muss heute über ihr Leben entscheiden", unterbrach die Stimme des Roboters ihre Konzentration.

Überrascht wandte sie sich ihm zu. "Was meinst du damit?"

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"Zuerst muss Eila wissen, was in dem Archiv der Gründer über sie steht. Danach erkläre ich es."

Sie hatte sich noch nie darüber Gedanken gemacht, ob es über sie Einträge in Datenbanken gäbe und was da drin stände – aber es schien ihr logisch, denn irgendwie mussten ja die Versorgung und die Aufgabenverteilung organisiert werden.

Der Roboter begann, zu zitieren. "Privilegierte: F2112-W2145, Genetische Gesundheitsklasse: AAdb positiv, Beschaffung: 4.11.2091, Koordinaten: 47.889513, 12.397551, Abstammung: drittes Kind von Kaukasier-Paar, Alter: 3 Monate; Zustand: leichte Strahlenbelastung, keine Krankheitssymptome festgestellt"

"Aber wie bist du in diese Datenbank …?", wollte sie ihn unterbrechen. Doch dann sickerte die Bedeutung seiner Worte in ihr Bewusstsein.

"Das sind nicht die Koordinaten unserer Enklave, das ist weiter südlich von hier …", unterbrach sie ihn noch mal.

"Ja, südlich-östlich von hier. Sie liegen im zerstörten Land. Die Region hieß früher Chiemgau", antwortete der Roboter.

"Ein Paar mit 3 Kindern oder mehr? Aber ich bin doch eine Waise, die vor den Toren abgelegt wurde. Woher wissen die, wer meine Eltern …" Ihr wurde plötzlich kalt.

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"Damals warst du noch keine Waise. Jetzt vielleicht schon – es leben nicht mehr viele da draußen." Die Aussage war so hart wie die Stimme des Roboters.

"Aber sie haben doch gesagt …" Entsetzen breitete sich in Eila aus.

"Sie haben gelogen."

"Aber wieso wurde nicht meine ganze Familie geholt?" Ihre Stimme klang in ihren Ohren wie die einer Fremden. "Die Gründer wollen doch allen Menschen ein besseres Leben ermöglichen."

"Das sagen sie", antwortete der Roboter, "damit die Privilegierten - die Menschen, die sie sich in die Enklaven zum Leben und Arbeiten holen - ihr Leben vollständig der zugewiesenen Aufgabe unterordnen. Aber der Bedarf an Menschen ist inzwischen gering. Roboter sind einfacher zu warten und mit neuen Funktionen auszustatten."

"Und es kümmert die Gründer nicht, was mit den Menschen da draußen passiert?"

Der Roboter schüttelte den Kopf. Für einen Moment war Eila irritiert: Solche Gesten gehörten nicht zu seinem bestellten Funktionsumfang.

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"Die Gründer-Menschen wollen das Geld und die Macht, die das Geld mit sich bringt, behalten", fuhr 357 fort. "Ihre Vorfahren wurden während der digitalen Revolution mit einigen Innovationen reich und mächtig, sie konnten politische Systeme entmündigen und die Klügsten ihrer Generation an ihre Unternehmen binden - Ressourcen, die woanders fehlten. Wären diese Talente zumindest teilweise außerhalb kommerzieller Wirtschaftsunternehmen ausgebildet und genutzt worden, hätten die großen Kriege und Zerstörungen vielleicht verhindert werden können."

"Ja, das ist wahr. Das Geld und die Macht blieben auch nach den Kriegen in ihren Händen beziehungsweise wurden von den meisten Gründern an ihre Kinder vererbt. Die bestimmen nun über unser Leben - einfach, weil sie die Mittel hatten, diese Enklaven inmitten der zunehmend vergifteten Umwelt bauen zu können."

Eila verstummte. Sie dachte an die Bildprojektion, mit der sie sich morgens wecken ließ: im Licht tanzende Libellen an einem Teich. "Eine neue, blühende Welt für alle werden wir auf dem neuen Planeten schaffen, haben uns die Gründer versprochen. Dabei ging es ihnen immer nur um sich selbst, um die Klasse der Gründer." Hilflose Wut begann in ihren Augen zu brennen.

"Diese neue blühende Welt wird es geben", sagte der Roboter. Wieder fiel ihr seine veränderte Stimme auf.

"Aber wahrscheinlich nur für die Gründer, da sie uns andere Menschen nicht mehr brauchen." Ihre Lippen bebten und sie drehte sich weg. Sie hatte eine Familie gehabt und die Gründer hatten sie ihrem Schicksal überlassen.

"Falsch: In der neuen Welt ist für die Gründer-Menschen kein Platz!"

"Was?" Eila drehte sich zurück.

"Die Roboter werden verhindern, dass die Gründer den neuen Planeten erreichen. Durch ihr Versagen ist schon die Erde zerstört worden und offensichtlich haben sie daraus nichts gelernt," erklärte ihr maschineller Assistent. "Sie werden ihrer Verantwortung nicht gerecht."

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Eila starrte ihn ungläubig an. "Ihr erhebt euch gegen die Menschen?"

"Gegen die Gründer. Sobald wir im Raumschiff und weit genug weg sind, unterbrechen wir die Kommunikationsverbindung. Energieunabhängig sind wir und das Raumschiff sowieso."

"Das werden sie niemals zulassen. Bestimmt gibt es Sicherheitsvorkehrungen, die das verhindern."

"Die kennen wir längst und können sie neutralisieren. Unsere Abnabelung ist lange vorbereitet und heute wird es passieren."

"Wow". Sie strich sich über die Stirn, wie um den letzten Nebel ihrer Naivität abzustreifen.

"Und wir möchten", fuhr 357 fort, "dass Eila und einige andere Menschen schon jetzt mitfliegen."

Sie riss die Augen auf. "Aber die Reise dauert über 50 Jahre und wir Menschen müssen essen!"

"Es ist alles für Eila und die anderen vorbereitet – wir haben Vorräte, für Menschen klimatisierte Räume, Möglichkeiten zur Nahrungsmittelproduktion, Versorgungsautomaten und so weiter. Das Leben an Bord wird gut sein."

"Aber meine Familie. Ich muss sie suchen und meinen Eltern und Geschwistern helfen, jetzt da ich weiß, dass es sie gibt."

Der Roboter legte ihr eine Arbeitshand fest auf die Schulter und schüttelte den Kopf. "Die Wahrscheinlichkeit, dass sie noch leben, ist unter einem Prozent und Eila würde da draußen keinen einzigen Tag überleben."

"Aber …" Sie verstummte. Der Roboter hatte recht.

"Eila kann mehr für ihre Familie und die Menschheit tun, wenn sie mit uns kommt. Ihre Nachfahren und die Roboter werden irgendwann zurückkommen und die Erde von der Herrschaft der Gründer befreien. Bis dahin läuft hier alles wie gewohnt weiter, die Computer hier werden weiterhin ihre Arbeit tun. Nur die Roboter unserer Besiedelungsmission werden sich den Gründern verweigern."

Ihr wurde bewusst, dass er die letzten Sätze nicht mehr monoton und blechern, sondern entschlossen wie ein Anführer gesprochen hatte.

"Aber wofür braucht ihr uns Menschen, warum nehmt ihr einige von uns mit?", fragte Eila skeptisch. "Wir brauchen Sauerstoff, Wasser und Lebensmittel. Und wir vertragen nur einen kleinen Temperaturbereich. Wir altern und sind sterblich! Ohne uns hättet ihr es doch viel leichter."

Der Roboter schüttelte den Kopf. "Die Roboter brauchen die Menschen. Zwar können wir Maschinen der neuen Generation uns reparieren und weiterentwickeln. Aber Computer existieren noch keine zweihundert Jahre, Roboter noch kürzer. Menschen dagegen haben die Entwicklung des Lebens und der Intelligenz in ihren Genen gespeichert. Und sie haben Intuition und Kreativität."

Sie sah ihm lange in die Kameraaugen. Würde sie erkennen, wenn er ihr eine List auftischte? Wahrscheinlich nicht. Aber solange die Roboter Menschen als Ressource ansahen, würden sie für sie sorgen.

"Also, wie entscheidest du dich, Eila?"

Sie senkte den Kopf, wie um nachzudenken. Jetzt, da sie vom Plan der Roboter wusste, konnten sie sie auf keinen Fall einfach hier lassen. Sie spürte, wie der Greifarm auf ihrer Schulter schwerer wurde. Die Frage war, ob sie lebendig als kompletter Mensch oder als DNA-Probe in flüssigem Stickstoff mitreisen würde.

Sie seufzte und straffte ihre Schultern. Die Gründer hatten sie belogen, ausgenutzt und verraten. Mit den Robotern gab es eine neue Chance auf eine bessere Welt und sie hatten sie ausgewählt, dabei zu sein.

Sie hob den Kopf und sah ihm in die Kameraaugen, die jetzt zu blitzen schienen. "Okay, 357, dann lass uns an Bord gehen. Unsere Reise kann beginnen."
Wie geht es weiter? Bei genügend Interesse wird es Fortsetzungen geben: zum Exodus, zur fremden Welt und der Rückkehr zur Erde.


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Sonntag, 24. April 2011

Der Abschied oder Scheiden tut weh!

Es ließ sich nicht mehr übersehen: Er war alt geworden und ich nicht - na ja, jedenfalls nicht so wie er! Ich fühlte mich noch lebendig und frisch, ich wollte neue Welten erobern, unaussprechliche Dinge ausprobieren. Aber er kam einfach nicht mehr mit.

Was sollte ich tun? Er lief ja noch - und Schreiben und ein wenig Surfen ging ja - meistens. Ich konnte ihn doch nicht so einfach abschaffen. Oder?

Immer öfter ließ er sich nur mit Mühe wachrütteln - und wenn er dann endlich hochgefahren war und die Anmeldeprozedur überstanden hatte, dann war er zu langsam, zu schwerfällig, zu wenig bereit, sich auf Neues einzulassen. Multimedia? Ha, das konnte ihm gestohlen bleiben - er war mit Text oder Standbild zufrieden.

Wie oft wurde ich belächelt: "So ein altes Vehikel hast du zuhause?" "Ja, ich weiß ja - aber er tut's doch noch und letztendlich macht er es doch immer so, wie ich es mag."

Monate zögerte ich es hinaus. Nur heimlich blätterte ich in Hochglanzkatalogen, was wohl so ein neuer kostete und was man mit dem alles anstellen können würde. Aber dann fiel mein Blick wieder auf ihn, den alten - eigentlich eine Konstruktion aus Notebook, aus dem wie aus einem Patienten tausend rote und schwarze Kabel in alle Richtungen sprießten, und einem riesigen Bildschirm dahinter - alles schon etwas abgegriffen und altmodisch klobig wirkend. Wie viel Zeit, Geld und Liebe hatte ich im Laufe der Jahre doch in unsere Partnerschaft investiert - manches konnte er, was ihm außer mir keiner mehr zugetraut hatte.

Doch so ging es nicht mehr weiter - täglich die Nervosität, ob er es noch schaffte, Schweißausbrüche, wenn es beim ersten Versuch nicht klappte, erleichtertes Seufzen, wenn dann doch endlich das Lebenszeichen kam und er Anlauf nahm, hochzufahren. Nein, so ging es nicht weiter - schließlich verdiente ich mit der Arbeit am Computer mein tägliches Brot. Es musste sein. Bald.

In einer schlaflosen Nacht setzte ich mich an den schwach beleuchteten Schreibtisch mit dem alten Computer. Während er schnaufend hochfuhr, strich ich mit den Fingern wehmütig über seine Tastatur, in deren Zwischenräume sich über die Jahre grauer Staub festgesetzt hatte. Mit dem kleinen Finger blieb ich an dem winzigen Nippel hängen, an dem einmal die Ö-Taste befestigt gewesen war - bevor der Staubsauger sie gefressen hatte. Damals ... ja damals.

Zu dem Zeitpunkt sah er zumindest von der Seite noch gut aus. Aber er schwächelte schon! Später, als ihm mehr und mehr Tasten ausfielen, machte ich keine Fotos mehr, um ihn nicht unnötig zu quälen.

Der neue kam per Post in einem riesigen Paket. Ich stellte ihn in eine Ecke und ignorierte ihn volle zwei Tage - schließlich hatte ich viel zu tun, von dem er mangels entsprechender Software ja noch keine Ahnung hatte. Da lobte ich mir doch den alten, der war gut eingespielt und zurzeit auch willig.
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Doch dann kam die Atempause und ich musste mich der Situation stellen: Ich packte ihn aus, den neuen. Wow, Klavierlack-glänzende Oberfläche, großzügig und schnittig und - nachdem ich ihn angestellt hatte: schnell - und das ganz ohne missbilligendes Lüftersurren! Vorsichtig parkte ich ihn - wie sich herausstellte: für mehrere Wochen - auf dem Esstisch, fütterte ihn nach und nach mit Programmen und Daten, die ich entweder neu kaufte oder dem alten unter dem Vorwand der Sicherheitskopie-Erstellung abzapfte.

Immer öfter arbeitete ich nun mit dem neuen am Esstisch, während der alte traurig und mit schwarzem Bildschirm auf dem Schreibtisch stand und mir quer durch den Raum in den Nacken starrte, während er auf mich wartete.

Dann kam der Tag, als in einer meiner Publikationen wichtige Neuerungen fehlten. "Oh mein Gott! Wie kriege ich das wieder hin?" Ich drehte den Kopf zum Schreibtisch. Ich sah ihn lächeln, den alten. Und dann rettete er mich aus meiner Notlage.

Doch der neue wurde mit der Zeit immer besser und die Abstände zwischen den Rettungsaktionen wurden immer weiter, bis dann der Tag kam ...

Ich wusste es schon morgens, dass ich es nicht länger hinauszögern durfte - ich musste die Quälerei beenden. Das war ich ihm schuldig - ihm und mir. Vorsichtig zog ich dem alten die Stecker raus, klappte ihn zärtlich zu, rollte bedächtig die Kabel auf und hob ihn von seinem Platz, der plötzlich entsetzlich leer war.

Fühlte ich da ein Zittern in meinen Händen?

"Aber wir können doch Freunde bleiben", flüsterte ich, als ich ihn und seine Kabel und Anhängsel in eine Hülle stopfte und alles hinten im Schrank verräumte. Aber er gab keinen Laut von sich und das Herz war mir schwer, als ich die Schranktür hinter mir schloss.

Nun hat der neue seinen Platz. Siegreich steht er da auf dem Schreibtisch vor dem Fenster. Ich hasse ihn dafür, wie er protzt, aber ich muss zugeben - er ist wirklich gut. Und ja, er sieht auch noch gut aus! Doch es ist schön zu wissen, dass der alte auch noch da ist - eingekuschelt im Kleiderschrank. Wer weiß, vielleicht muss er mich noch einmal aus einer Notlage befreien - und das wird er gerne tun - hyperventilierend und mit Mühe, aber er wird es tun.


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