Die kalifornische Stanford University ist eine der renommiertesten Universitäten der Welt und laut Wikipedia auch eine der reichsten. Sie gilt als wichtiger Wachstumsmotor des Silicon Valley - Larry Page und Sergey Brin (Gründer von Google), Len Bosack und Sandy Lerner (Cisco Systems), William Hewlett und David Packard (Hewlett Packard) sind nur einige von vielen Stanford-Absolventen, die weltweit erfolgreiche Unternehmen gegründet haben.
Elite-Wissen kostenlos und weltweit zugänglich
Schon länger wurde gefordert, dass die großen Universitäten auch soziale Verantwortung übernehmen. Stanford hat angefangen, dies in die Tat umzusetzen: Nicht nur, dass seit 2008 Bachelor-Studenten, deren Eltern nicht vermögend sind und deren Familieneinkommen unter 100.000 Dollar (ca. 75.000 Euro) liegt, keine Studiengebühren zahlen müssen. Auch wurden für einige Kurse Lern-Videos und andere Unterrichtsmaterialien online weltweit verfügbar gemacht (anywhere, anytime, on-demand). Nun hat die Stanford University noch eins drauf gesetzt: Sie bietet einige ihrer Kurse kostenlos und weltweit als Online-Kurse mit einem geregelten Ablauf, Hausaufgaben und Prüfungen an. "Mit dem Aufbrechen des Zugangs zu Bildung hoffen wir, jedem, der es will, mehr Lern-, Berufs- und Weiterentwicklungsmöglichkeiten zu geben", wird Professor Jennifer Widom, Vorsitzende des Fachbereichs Computer Science, die den Kurs "Introduction to Databases" hält, in den Stanford News zitiert.Durchschnittlich etwa 100.000 Teilnehmer pro Kurs
Begonnen hat es im Herbst 2011 mit drei Kursen der Stanford Engineering School (eine von 7 Schulen der Stanford University) in Zusammenarbeit mit dem Stanford Center for Professional Development: "Introduction to Databases", "Machine Learning" und "Artificial Intelligence". Der Ansturm war riesig und schon bald war klar, dass pro Kurs 100.000 und mehr Lern-/Weiterbildungswillige teilnehmen würden. Spitzenreiter unter den Kursen war „Artificial Intelligence“ mit 160.000 Teilnehmern. Die aktuellen Kurse laufen noch bis Mitte Dezember 2011. Unter den Teilnehmern gibt es jugendliche Computerfreaks, Studierende von anderen Hochschulen, Berufstätige vom Fach, Berufstätige aus anderen Branchen, Arbeitslose, Rentner - und jeder ist willkommen. Es sind Menschen aller Altersklassen, mit völlig verschiedenen Motiven und ganz unterschiedlichem Hintergrund aus allen Ecken der Welt dabei - von Utah bis nach Kasachstan, von Kenia bis Guatemala. Aufgrund der hohen Besucherzahlen hat sich für diese kostenlosen, offenen Online-Kurse der Begriff MOOCs etabliert - MOOC steht für Massive Open Online Course.Die MOOCs verwenden Technologien, die zum Teil in Stanford bereits vorhanden waren, um den regulär eingeschriebenen Studenten das Lernen zu erleichtern: Interaktive Videoclips mit eingestreuten Multiple-Choice-Fragen, zu denen man auch Erläuterungen abrufen kann. Die Idee dazu stammt von Daphne Koller, einer der Informatik-Professorinnen, die die Zeit mit den Studenten lieber produktiv für gemeinsame Problemlösungen, Gastvorträge u. ä. nutzen wollte - das Basiswissen sollten sich die Studenten mit Hilfe der Video-Clips in Eigenregie und in der individuellen Geschwindigkeit aneignen. Davon profitieren heute die Teilnehmer der Online-Kurse: Wissen in thematisch abgegrenzte Videohäppchen verpackt. Zur strukturierten Bewältigung des Unterrichtsstoffes gibt es dazu noch ein wöchentliches Lernpensum, wöchentliche Hausaufgaben (Multiple-Choice-Tests, Programmierübungen o. a. - abhängig vom Kurs) und zwei Prüfungen, eine in der Mitte und eine am Ende des Kurses. Doch letztendlich ist alles freiwillig. Der eine pickt sich nur einzelne Lernvideos heraus, der andere "studiert" mit vollem Einsatz, erledigt alle Hausaufgaben und zusätzlichen Übungen und nimmt an allen Prüfungen teil.
Für die Prüfungen gibt es jeweils ein Zeitfenster von mehreren Tagen. Während dieser Zeit dürfen die Lösungen nicht öffentlich diskutiert werden. Soweit es beobachtbar war, wurde sich bisher daran gehalten. Prüfungen können nicht verspätet abgegeben werden - das ist nur bei Hausaufgaben möglich (bei halber Punktzahl). Während die Hausaufgaben so oft wiederholt werden dürfen, wie man will bzw. bis man alles richtig hat, muss die Prüfung beim ersten Versuch vor Ablauf einer vorgeschriebenen Zeit abgegeben werden, sonst zählt sie nicht. Wöchentlich gibt es außerdem ein Video des Dozenten mit aktuellen Informationen zum Kursverlauf, Statistiken und Ankündigungen. Fragen stellen und miteinander austauschen können sich die MOOC-Teilnehmer über ein Frage-/Antwort-Forum. Viele haben sich zusätzlich über soziale Netzwerke vernetzt. Mitte November war Halbzeit und die Zwischenprüfung stand ins Haus. Mehr als 10 Prozent der MOOC-Teilnehmer nahmen die Herausforderung an und schwitzten über den teilweise anspruchsvollen Fragen. An der finalen Prüfung Mitte Dezember 2011 dürften etwa genauso viele teilnehmen.
Eine Stanford-Graduierung ist begehrt, aber...
Ein offizielles Stanford-Zertifikat oder die Anrechnung für eine Graduierung durch die Stanford University dürfen sich die Teilnehmer der kostenlosen Online-Kurse allerdings nicht erwarten. Wer das sucht, muss sich als regulärer Student der Stanford Universität (teilweise auch als Online-Kurse), z. B. an der Stanford School of Engineering, einschreiben. Ein weiterer Vorteil eines regulären Studiums liegt im direkten Kontakt zu den Dozenten und die dadurch intensivere Betreuung und Vernetzung. Absolventen der kostenlosen Online-Kurse erhalten im besten Fall eine Teilnahmebestätigung durch ihren Dozenten und sie dürfen sich darüber freuen, von den Dozenten einer Elite-Universität unterrichtet zu werden, ohne den eigenen Schreibtisch verlassen zu müssen, und sich außerdem mit Menschen aus aller Welt vernetzen und austauschen zu können.Stanford - kostenlose Kurse 2012
Nicht nur aus Sicht der meisten Teilnehmer sind die drei aktuellen Kurse ein voller Erfolg, sondern auch die Dozenten scheinen das so zu sehen, denn für das neue Jahr wurde ein neues und breiteres Kursprogramm zusammengestellt (Beginn war für Januar 2012 geplant, verzögert sich aber; Laufzeit ca. 10 Wochen):- Cryptography (Informationssicherheit)
- The Lean Launchpad (Wie man aus einer Idee ein Unternehmen macht)
- Technology Entrepreneurship
- Making Green Buildings (“Nachhaltig planen und bauen”)
- Information Theory
- Computer Science CS101
- Machine Learning
- Human-Computer Interaction
- Natural Language Processing
- Game Theory
- Probabilistic Graphical Models
- Design and Analysis of Algorithms I
- Anatomy
Die MOOCs sind auf Bachelor- und zum Teil auch auf Master-Studenten zugeschnitten, also relativ anspruchsvoll, aber ohne Fachkenntnisse vorauszusetzen. Wer sich für eines der oben genannten Themen interessiert und einigermaßen Englisch versteht, bringt schon die nötigen Voraussetzungen für eine Teilnahme mit. Der Vorteil des Lernens über Lernvideos ist, dass man es jederzeit anhalten kann, um Begriffe nachzuschauen oder sich Notizen zu machen. Und wenn man sich ein Video 20 Mal anschaut ist das auch kein Problem – der Dozent im Lernvideo bringt jedes Mal die gleiche Freundlichkeit und Geduld mit. Dennoch sollen für die neuen Kurse die Videoinhalte zusätzlich als Text geliefert werden - für diejenigen, die Schwierigkeiten bei gesprochenem Englisch haben.
Auf jeden Fall vergrößert die Universität mit dem neuen kostenlosen Online-Angebot ihre Bekanntheit und sie verbessert ihre Reputation - ein Beispiel gelungener "Unternehmenskommunikation". Über die Stanford University (und die Dozenten) wird von den Kursteilnehmern in den sozialen Netzwerken berichtet, was dann zur Folge hat, dass auch in anderen (Online-) Medien darüber geschrieben wird. Ähnliches gilt auch für die MOOC-Dozenten, deren Engagement diese Kurse erst möglich macht: Sie ernten i. d. R. viel positives Feedback und werden international bekannt; als Folge daraus verkaufen sich möglicherweise ihre Bücher, sofern sie Fachbuchautoren sind, besser.
All das wird vermutlich auch einen positiven Einfluss auf die Zahl regulärer Stanford-Bewerber in der Zukunft haben. Doch auch die aktuellen Studenten und Studentinnen in Stanford profitieren - nicht nur, weil ihre Dozenten nun prominenter sind, was den Wert ihrer Zertifikate oder Diplome erhöhen könnte, sondern durch die gewonnene praktische Erfahrung - zum einen, weil die Infrastruktur für die Online-Kurse von den Dozenten mit einigen Studenten zusammen aufgesetzt wurden, zum anderen, weil man die Erfahrungen des Projekts an die Studierenden weitergeben kann.
Die Stanford University hat gezeigt, wie es geht. Ihre Bildungsoffensive hat das Potenzial, eine Bildungsrevolution zu entfachen. Die deutschen Universitäten sollten die Gelegenheit nicht verschlafen.
Nachtrag:Stanford University - kostenlose Online-Kurse als Geschenk an die Welt?
Was hat die Stanford Universität von ihrem MOOC-Angebot, das ja einigen zusätzlichen Aufwand mit sich bringt? Soziale Verantwortung und persönliches Engagement der Dozenten sind sicherlich wichtige Aspekte, doch müssen es nicht die einzigen sein. Bisher decken die angebotenen Kurse zu einem großen Teil eher das Grundwissen in den Fachgebieten ab, aber theoretisch könnten herausragende Teilnehmer herausgefiltert und an suchende Unternehmen vermittelt werden. Bisher gibt es jedoch keinen Hinweis darauf, dass dies von Stanford tatsächlich geplant ist.Auf jeden Fall vergrößert die Universität mit dem neuen kostenlosen Online-Angebot ihre Bekanntheit und sie verbessert ihre Reputation - ein Beispiel gelungener "Unternehmenskommunikation". Über die Stanford University (und die Dozenten) wird von den Kursteilnehmern in den sozialen Netzwerken berichtet, was dann zur Folge hat, dass auch in anderen (Online-) Medien darüber geschrieben wird. Ähnliches gilt auch für die MOOC-Dozenten, deren Engagement diese Kurse erst möglich macht: Sie ernten i. d. R. viel positives Feedback und werden international bekannt; als Folge daraus verkaufen sich möglicherweise ihre Bücher, sofern sie Fachbuchautoren sind, besser.
All das wird vermutlich auch einen positiven Einfluss auf die Zahl regulärer Stanford-Bewerber in der Zukunft haben. Doch auch die aktuellen Studenten und Studentinnen in Stanford profitieren - nicht nur, weil ihre Dozenten nun prominenter sind, was den Wert ihrer Zertifikate oder Diplome erhöhen könnte, sondern durch die gewonnene praktische Erfahrung - zum einen, weil die Infrastruktur für die Online-Kurse von den Dozenten mit einigen Studenten zusammen aufgesetzt wurden, zum anderen, weil man die Erfahrungen des Projekts an die Studierenden weitergeben kann.
Kostenlose Online-Kurse als Strategie gegen Fachkräftemangel?
Angesichts des Fachkräftemangels in Deutschland wäre eine derartige Bildungsoffensive - möglicherweise einer Universität oder anderen Bildungseinrichtung in Zusammenarbeit mit einem Unternehmen oder einem Unternehmensverband o. ä. - durchaus vorstellbar. Zwar sind die Teilnehmer nach ein oder zwei Kursen noch keine Fachkräfte, doch der erste Kontakt zu Interessierten wird geknüpft. Die Teilnehmer können während des Kurses zeigen, ob ihnen das Thema liegt und wie stark ihr Engagement ist, der Anbieter kann sich herauspicken, wen er dann im Betrieb zu Ende ausbilden will.Die Stanford University hat gezeigt, wie es geht. Ihre Bildungsoffensive hat das Potenzial, eine Bildungsrevolution zu entfachen. Die deutschen Universitäten sollten die Gelegenheit nicht verschlafen.
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