Urheberrecht und ACTA
Die Vermischung der Diskussionen um ACTA, Urheberrecht und Verwertung/Lizenzierung macht mir Angst. Ich traue den ACTA-Gegnern nicht, nachdem in Diskussionen und Interviews ACTA-Gegner als Argument äußerten: „Dann könnte ich bei YouTube ja nicht mehr alles umsonst runterladen“. Sind das die Kinder der Geiz-ist-geil-Generation, die nun alles umsonst haben wollen, was ihnen an Musik, Bildern oder Texten gefällt? Selbst Menschen, die sich intensiver mit der Materie beschäftigen und einen Gegenentwurf zu ACTA entwickeln, schlugen vor, das Urheberrecht solle auf 2 Jahre nach Erstveröffentlichung gekürzt werden. Da frage ich mich schon, ob die überhaupt wissen, wie beispielsweise ein Autor in Deutschland sein Geld verdient. (Für andere Urheber wie Fotografen, Maler, Musiker und auch für andere Länder kann ich nicht sprechen, da ich nicht im Detail damit vertraut bin – die USA hat ja beispielsweise ein anderes Urheberrecht als wir. Ich würde mich aber freuen, wenn sie auch ihre Sicht darstellen, und verlinke dann gerne von hier aus.)Das (Über-)Leben eines Urhebers am Beispiel Autor
So ist der Weg von der Idee zum Einkommen: Entweder hat ein Autor (= Urheber) eine Idee, über was er schreiben möchte, oder ein Verwerter (im besten Fall ein netter Verlag) trägt eine Idee an ihn heran. Wenn man als Autor selbst keinen Verlag für seine Idee gewinnen kann, aber unbedingt beim Verlag schreiben will, sucht man sich einen Agenten – allerdings sind die ebenso schwer wie Verlage zu gewinnen und möglicherweise finden sie auch keinen Verlag. Hat dann endlich doch ein Verlag angebissen, entwickeln der Lektor des Verlages und der Autor zusammen eine Inhaltsstruktur, wobei der erste Entwurf vom Autor kommt.Wenn man sich über alles einigen kann, wird ein Vertrag zur Verwertung gemacht, der alle Details zu Rechten und Pflichten von beiden Seiten enthält. Der Verwerter (Verlag) verpflichtet sich im Verlagsvertrag beispielsweise, dafür zu sorgen, dass das Buch gedruckt und unter die Leute gebracht wird. Damit er das kann, muss der Autor ihm bestimmte Rechte einräumen - leider klingt das in den Verträgen immer sehr kompliziert (bei Mediafon kann man recherchieren, was "normal" ist). Was die Bezahlung angeht, kann man als Nicht-Prominenter oder Nicht-Starautor aber doch einigermaßen geschätzter Fachautor meist einen nicht rückzahlbaren Vorschuss aushandeln. Die Höhe des Vorschusses ist sehr themenabhängig und es kommt auch darauf an, was sich der Verlag überhaupt leisten kann – je mehr Vorschuss, desto mehr zusätzliches Risiko für den Verlag, denn letztlich weiß niemand, ob sich das Buch überhaupt verkaufen wird.
Ein Verlagsvertrag ist etwas Gutes. Der Vorschuss deckt bei mir im Durchschnitt etwa den Lebensunterhalt eines Viertels der Zeit, die ich brauche, um das Buch zu schreiben – bei manchen Büchern mehr, bei anderen gibt es gar keinen Vorschuss (je nach Thema bzw. bei Fiktion als unbekannter Schriftsteller in einem kleinen Verlag). Mit anderen Worten: Wenn ich 4 Monate an einem Buch schreibe, dann deckt der Vorschuss (der meist erst bei Manuskriptabgabe oder bei Veröffentlichung fällig wird) im Durchschnitt anschließend einen Monat lang meine Lebenskosten.
Da fragt man sich: Wovon leben Autoren dann die restliche Zeit? Zurecht. Antwort: Von den Honoraren, die über die Jahre noch nachkleckern, nachdem der Vorschuss mit ihnen verrechnet wurde. Wenn mein Vorschuss beispielsweise nach 2 - 3 Jahren mit den tatsächlichen Honoraren aus Verkäufen verrechnet ist, kommt wieder etwas Geld herein – jedes Mal, wenn jemand mein Buch kauft und bezahlt. Aber das sind winzige Beträge pro Buch. Manche Bücher haben dann nach 10 Jahren so viel Geld gebracht, dass die ursprünglich investierte Zeit zu einem erträglichen Stundenlohn führte. Bei manchen Büchern passiert das nie. Das gute Buch, das lange läuft, trägt den Rest mit, der nicht so recht in Fahrt kommt – und das passiert bei vielen Büchern.
[Nachtrag 19.2.2012] Dazu kommt noch das Geld, das die Verwertungsgesellschaft (VG) Wort einsammelt und verteilt. Damit ist in etwa die Miete eines Monats bezahlt - in einem Jahr mehr, im anderen weniger. Das Geld stammt beispielsweise aus geringfügigen Aufschlägen auf Vervielfältigungsgeräte, durch die Nutzer Geld sparen, denn sie müssen nicht das ganze Buch kaufen, wenn sie nur Abschnitte kopieren. [Nachtrag-Ende]
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Werden Bücher von unberechtigten Dritten gescannt und als E-Books angeboten (solche Plattformen "E-Books umsonst" gibt es ja im Internet), ist das nach unserem Gesetz Diebstahl zu Lasten des Autors und zu Lasten des Verlages, die die ganze Arbeit und das Risiko hatten. Das Teure am Buch ist übrigens nicht der Buchdruck, sondern die viele Arbeit, die Autoren, Lektoren und viele andere Menschen da reingesteckt haben - deshalb spielt es keine soooo große Rolle, wie viele annehmen, ob das Buch gedruckt oder digital verkauft wird. Wenn es digital verkauft wird, ist allerdings i. d. R. der stationäre Buchhandel nicht mehr beteiligt (dafür wirken Monopolisten auf die Preisgestaltung) - das spart dem Kunden Geld, dafür fehlt ihm die Beratung durch die Fachleute der Buchläden, die aber leider zunehmend pleitegehen und aus den Städten (auch wegen anderer Zusammenhänge) verschwinden.
Verschiedene Geschäftsmodelle für Autoren
Natürlich kann man nicht nur über Verlage publizieren. Als Autorin/Journalistin habe ich schon verschiedene Wege probiert – und ich bin sehr froh, dass es verschiedene Wege gibt: gedruckte Bücher/E-Books mit Verlag, Bücher ohne Verlag, werbefinanzierte Online-Publikationen. Aber wenn ich mich aufs Schreiben konzentrieren will, dann ist die Arbeit mit (einem guten Agenten und) einem Verlag am erfreulichsten, denn dann kann ich das tun, weswegen ich den Beruf ergriffen habe: Schreiben.Der Verlag hält dem Autor den Rücken frei, entwickelt Buchreihen, kümmert sich um Lektorat, Korrektorat, Layout, Umschlag, Vertrieb und Vermarktung. Wenn ich selbst verlege – egal, ob gedrucktes Buch, E-Book oder Online-Publikation, dann muss ich mich um alles selbst kümmern, d. h. ich muss all dies selbst lernen und umsetzen. Das frisst wahnsinnig viel Zeit und Energie, schließlich muss man mehrere Berufe lernen, in die andere als Azubi oder Student mehrere Jahre reingewachsen sind. Dabei wollte ich einfach nur schreiben.
Leider werden die Verlagsverträge in den letzten Jahren immer schwieriger zu lesen und gehen oft genug in Richtung Total Buy Out. Ein Agent kann dabei helfen, einen besseren Vertrag zu bekommen, möchte aber für seine Arbeit auch bezahlt werden - verständlicherweise. Der Grund für die schlechteren Verträge liegt aber meiner Meinung nach nicht darin, dass die Verlage immer böser werden, sondern weil es ihnen – meinem Eindruck nach – immer schlechter geht. Und das hat natürlich mit den großen amerikanischen Platzhirschen im Internet zu tun, die den Nutzern alles für lau und den Autoren große Erfolge unter Umgehung der Verlage versprechen. Sie machen das nicht aus Gutherzigkeit, sondern sie wollen die Verlage u. a. Verwerter loswerden und selbst das Geschäft machen. Sie interessieren keine Urheberrechte und letztlich auch nicht der Künstler/Autor, sondern nur wie viele Besucher kommen (umso teurer können sie ihren Werbeplatz verkaufen) oder wie sie die Verlage ersetzen können (ohne den Service zu bieten, der nämlich Geld kosten würde).
Ja, die Verlage u. a. Verwerter müssen sich - wie alle - der neuen Situation im Internet stellen. Aber das Urheberrecht abzuschaffen oder drastisch zu kürzen oder überhaupt Gesetze kritiklos an Geschäftsmodelle von Unternehmen anzupassen, ist meiner Meinung nach der falsche Weg.
Urheberrecht- und ACTA-Argumente
Die ACTA-Gegner behaupten, dass ACTA nur den Verwertern in die Hände spiele und die Verwerter seien böse. Nun, die Verwerter (in meinem Fall Verlage) bezahlen mich als Urheber, indem sie mir für jedes verkaufte Buch einen Honoraranteil überweisen – und sie können nur verwerten, was sie von den Urhebern zur Verwertung per Vertrag bekommen haben. Es steht jedem frei, zu schreiben, komponieren, fotografieren und seine Werke als frei zu deklarieren (GNU-Lizenz für freie Dokumentation). Doch ich möchte vom Schreiben leben können. Und wenn mein erster Roman erst nach 25 Jahren entdeckt wird, finde ich, steht immer noch mir das Honorar zu – denn schließlich habe ich über ein Jahr lang in jedem Urlaub, an jedem Wochenende und jeden Abend daran geschrieben (Geld verdienen musste ich damals mit was anderem).Die ACTA-Gegner wollen keine „Totalüberwachung durch den Staat“ und auch nicht, dass die Tauschplattformen zu Hilfssheriff gemacht werden. Ob das überhaupt durch ACTA verlangt wird, weiß ich nicht – nach der Analyse zweier Rechtsanwälte (Links zu den Artikeln sind unten bei Quellen), steht das nicht drin und sind auch kaum neue gesetzlichen Regelungen in Deutschland erforderlich. Leider sind die ACTA-Gegner nicht so kritisch, wenn es um die Totalüberwachung durch Internet-Unternehmen wie Facebook oder Google geht oder andere, die tracken und bubblen.
Ich möchte auch keine Totalüberwachung durch den Staat und ich möchte auch nicht, dass Jugendliche bei Ersttaten unverhältnismäßig hohe Abmahnungen zahlen müssen, aber ich will, dass Gesetze auch im Internet gelten – allerdings gehören die auch mal eindeutig für das Internet ausgelegt und kommuniziert, statt User und Publisher in Fallen laufen zu lassen, in der Hoffnung, dass Gerichte alles irgendwann klären werden, während sich die Politik irgendwo versteckt. Aber grundsätzlich: Wenn ich die Situation auf ein Gasthaus übertrage: Von einem Wirt verlange ich doch auch, dass er dafür sorgt, dass in seinem Laden das Gesetz eingehalten wird, dass er dort keinen Drogenhandel duldet und Kindern keinen Alkohol verkauft. Warum soll man das nicht auch von einer Internetplattform verlangen können. Die überwachen uns doch sowieso bzw. sammeln Daten wie verrückt. Wie man sieht, machen die Internet-Unternehmen freiwillig wenig nur deshalb, weil etwas richtig wäre, denn jeder Besucher ist für sie ein guter Besucher – die interessieren sich nicht für Urheberrecht oder andere Gesetze, solange die Kohle stimmt und man sie machen lässt.
Ein Urheber will nicht das Haustier der Gesellschaft sein
Das Leben eines Künstlers/Autors ist hart. Aber das weiß man, wenn man damit anfängt. Mag sein, dass es einer Rihanna oder einem Dieter Bohlen finanziell nicht so viel ausmacht, wenn jemand ihre Arbeit kopiert und verteilt. Aber es ist ungesetzlich. Doch ein Künstler/Publizist hat in Deutschland laut Künstlersozialkasse im Durchschnitt ein Monatseinkommen von ca. 1.100 Euro (und die KSK nimmt erst ab einem Mindesteinkommen auf) - in dem Betrag ist auch das enthalten, was die Verwertungsgesellschaften (z. B. VGWort) eingesammelt und verteilt haben. Und das will man dem Künstler/Publizist wegnehmen, indem man das Urheberrecht abschafft oder verkürzt?Voll die Krätze kriege ich aber, wenn ich von eher dem Sozialismus zugeneigten Menschen in Diskussionen höre, dass „unsere Künstler und Schriftsteller eben einen Pauschalbetrag zum Leben bekommen sollen“ (wenn wir dann mal die Gesellschaft umgekrempelt haben). Aber: Es müsste ja wohl fairerweise erst die Gesellschaft umgekrempelt werden, bevor man Urheber enteignet. Aber auch so will ich nicht wie ein Haustier, das man sich als Gesellschaft leistet, gehalten werden – abgesehen davon, dass ich Verfechter der sozialen Marktwirtschaft und nicht des Sozialismus bin.
Mein Fazit als Urheber (Autor)
ACTA, Urheberrecht und Verwertung sind verschiedene Dinge - darüber muss aufgeklärt werden. Die Auslegung der Gesetze für das Internet sollte eindeutiger kommuniziert, am besten schriftlich veröffentlicht und in Schulen gelehrt werden, denn weder Internetnutzer noch Urheber/Seitenbetreiber können aktuell noch durchschauen, was legal ist und was nicht.Beispiel: Offensichtlich sind die Vorschaubilder bei Google-Suche legal, aber bei Verlinkungen bei Facebook oder beim Pinnen aus Blogs mit Pinterest/Pinspire nicht (weiß leider nicht mehr, wer das im TV vor Kurzem gesagt hat). Genauso gehört das ganze Tracking-Thema untersucht und eindeutige Regeln aufgestellt – Illegales sollte in Deutschland erst gar nicht angeboten werden dürfen, statt den überforderten Nutzer oder Publisher ins Verderben sausen lassen. Die Politik sollte sich endlich mal dran setzen und die Regeln für die Bürger formulieren.
Diesem Schlamassel aus dem Weg gehen zu wollen, indem man einfach mal das Urheberrecht beseitigt, weil man sich sonst mit mächtigen Unternehmen auseinandersetzen müsste, ist für mich feige und davon abgesehen auch gleichzusetzen mit Enteignung.
[Nachtrag 19.2.2012] Es sollten auch meiner Meinung nach faire Lizensierungs-/Nutzungsmodelle ermöglicht werden. Z. B. günstige Kombiprodukte (Buch + E-Book). Oder Lizenzen für den Inhalt: Wer ein Buch gekauft hat, soll es für einen kleinen Aufpreis auch als E-Book herunterladen dürfen, statt es noch einmal ganz bezahlen zu müssen (Ausnahme E-Books mit extremem Mehraufwand und "Mehrwert" wie interaktiven Grafiken etc.). Die Buchpreisbindung und der Börsenverein des Deutschen Buchhandels als Sprachrohr der deutschen Buchbranche sollten fairen Innovationen nicht den Weg verstellen. Dementsprechend sollte auch die GEMA (Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte) sich innovativen Lizensierungs- und Nutzungsmodellen öffnen oder sie selbst entwickeln. ACTA (Anti-Counterfeiting Trade Agreement), bei dem es um die (Art der) Durchsetzung von Gesetzen gegen Produktpiraterie und Markenfälschungen geht, ist für mich ein ganz eigenes Thema. [Nachtrag-Ende]
Aber solange eine große Zahl der ACTA-Gegner gleichzeitig auch Urheberrechtsabschaffer sind bzw. Urhebern und Künstlern die Rechte und die Lebensgrundlage beschneiden wollen, werde ich mich nicht zu ihnen stellen.
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Aufruf
Wenn ihr auch Urheber (Fotograf, Musiker, Journalist, Maler o. a.) seid und davon lebt (also nicht nur schreibt, um eure Dienstleistungen zu promoten) oder Verwerter (Verlag) seid, dann könnt ihr vielleicht auch für andere aufschreiben, wie das mit Kunst/Urheberschaft oder Geschäft und Einkommen bei euch funktioniert. Ich glaube nämlich, dass viele Menschen davon einfach die falsche Vorstellung haben.
Quellen und weitere Informationen
- Urheberrecht, ACTA und die Politik
- Ist die ACTA-Hysterie berechtigt? (Rechtsanwalt Thomas Stadler)
- Das Anti-Counterfeiting Trade Agreement (ACTA) und das deutsche Recht (Anwaltskanzlei Ferner)
- King Kong gegen Godzilla (Lesenswerter Beitrag von Wolfgang Michal)
- Durchschnittseinkommen Versicherte (Künstlersozialkasse, KSK)
[Nachtrag 16.5.2012]
Gut gefällt mir auch dieses Interview mit Pia Ziefle: Mein Standpunkt ist der des autonomen Urhebers
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